Ein ehemaliger Frontsoldat des I Weltkrieges, Rafael (Rafał) Stolka aus Kőnigshűtte O/S (1891-1981) beschloss in den 1960er Jahren, seine kurze Erinnerungen zu schreiben. Er hatte sie in einem Manuskript in einem Schulheft enthalten. Dazu hatte er einige Aufnahmen beigefűgt. Unterhalb ist dieser Text – in seiner Originalform – zusammen mit diesen Fotografien und zusätzlichen Illustrationen präsentiert.
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Meine Verwundung aus dem I Weltkriege
Gedient hatte ich von 1911 – 1913 bei der 9-ten Kompanie des Kaiser-Franz Garde Grenadier Reg. No 2.
Nun kam das Kriegsjahr 1914.
Das Garde Korps wurde gegen den Westen – Frankreich und Belgien eingesetzt.
Die 2-te Garde Infanterie Division setzte den Marsch ab 11. VIII auf die Festung Namur, zunächst aber auf das kleine Städchen Auvelais in Belgien vor Namur. Es herrschte eine unbeschreibliche Hitze in den Augusttagen. Es waren lange ermüdende Märsche, es ging über Städte und Dörfer, über Wälde und Felder, äber Abhänge und steile Höhen. Da sah man flüchtende Menschen, ab und zu belgische und französische Gefangene. Da und dort brennende Häuser. 6 deutsche Garde-Ulanen die bei einer Erkündigung ins feindliche Lager von einem starken französischen Vorposten überfallen und überwaltigt wurden, sah man dann tot auf einem Wagen liegen.
Und nun kam der 21 August 1914. Schon von frühen Morgenstunden an marschierte unser Regiment pausenlos. In den ersten Nachmittagsstunden auf Befehl des Divisionsgenerals machten wir auf einer großen Wiese nur wenige Kilometer vor der Stadt Auvelais halt und hielten rast. Es wurde Essen verteilt. Die meisten schliefen nach der langen ermüdenden Märschen sofort ein. Die Rast dauerte aber nicht lange, denn schon nach kaum zwei Stunden kam ein Meldreiter angeritten mit der Meldung: der Feind ist in der Nähe. Man hörte auch schon von Weitem Gewehrschüsse. Dann erschallte das Kommando: Fertigmachen! Die Kompanieführer komandierten: An die Gewehre! Und die Division setzte sich in Bewegung. Der Marsch ging über ein Dörflein. Hinter dem Dorf befand sich ein sehr breiter Abhang. Unten floß ein Flüßchen. Von dem Abhang aus sah man die brennende Stadt Auvelais. Jetzt hieß es: Kompanieweise den Abhang herunter und im Laufschritt ging es in die brennende Stadt. Von beiden Seiten der Straße brannten die Häuser. Eine Gruppe links, eine rechts, da Heckenschützen noch aus den Kellerfenster schossen. Überall hingen noch französische und belgische Fahnen. Schon sah man auch die ersten Verwundeten. Nach etwa 3 Stunden war die ganze Division in dem Städtchen. In dem Städtchen sollte sich die Division neu formieren zum weiterem Vormarsch. Als nun das Städtchen vollgepfropft war, setzte die französische Artillerie ein. Ein Geschoß nach dem anderen prasselte auf die Stadt hinab, immer näher kamen die Geschoßgarben. Man dachte die Hölle ist los. Man sah wie die Häuser einstürzten. Ein völliges Durcheinander war es geworden. Jetzt wurden Hilfeschreie der Verletzten laut, Kommandorufe ertönten durch die Straßen weiter Marsch im Laufschritt nach dem Bahndamm das hinter der Stadt lag. Immer dichter sausten die Geschosse um die Ohren.
Dann mit einem Mal explodierte unmittelbar hinter mir eine Granate und dann ein furchtbarer Schlag gegen den rechten Unterschenkel wie non einem Pferdehuf gestoßen sank ich zu Boden. Mir wurde schwarz vor den Augen. Als ich dann auf einen Moment zu sich kam, sah ich die Bescherung, ich lag in einer Gruppe mit Toten und Schwerverwundeten. Da packte mich zum ersten Mal der Schreck und ich kroch auf allen Vieren etwa 50 Meter oder mehr von der Stelle weg und lehnte mich an eine Häusermauer und verlor die Besinnung. Dann erwachte ich durch ein Rütteln eines Kameraden von der Feldartillerie, ich zeigte ihm nach dem Bein das in einer Blutlache lag. Der Kamerad schnitt den Stiefel auf, zog ihn herunter und legte mir einen Notverband an. Dann nahm er seine Feldflasche und gab mir zu trinken, es war Alkohol darin. Dauernd sausten und pfiffen die Granaten um uns her. Wie er so bei mir kniete, sauste an uns vorüber eine Granate und traf das eine seiner 4 Pferde mitten im Bauch. Das Pferd bäumte sich auf und fiel dann um. Die Granate explodierte nicht und blieb vor dem Pferde liegen. Es war nur knapp 4 Meter vor uns. Wäre sie explodiert oder sie hätte den Wagen getroffen, der voll mit Granaten gefüllt war, dann wäre es um uns aus und die ganze Straße geschehen. Der Artillerist sprang schnell von mir weg, spannte das tote Pferd ab und fuhr mit 3 Pferden schnell von der Stelle fort. Von dem vielen Blutverlust verlor ich abermals die Besinnung. In den Dunkelstunden wurde ich wieder aufgerüttelt. Es waren Sanitäter, die mich in einer Feldbahn wegtrugen nach einem Verbandshäuschen. Dort lagen auch schon verwundete Franzosen und Belgier. Eben kam auch mein Batalionsführer Herr Gehring in die Verbandsstube herein, verwundet am Oberarm, kam an mich heran, reichte mir die Hand mit den Worten: auch ein Kamerad von meinem Batalion. Jetzt kam ich schon etwas mehr zu mir, konnte klarer denken. In den Dunkelstunden könnte man dauernd Hurrarufe der Deutschen, die nun endlich die Stadt und den Bahndamm in Sturm genommen haben. Und wie wir so kurze Zeit dagelegen haben, sauste plötzlich eine französische Granate gegen das Haus und riß die ganze Wand herunter. Nun waren wir ungeschützt vom Wetter und Wind. Schnell wurden wir dann umgeladen nach einem anderen Verbandsplatz wo mir unter großen Schmerzen die ersten Knochensplitter aus dem Bein entfernt wurden.
Dann sind wir nach einem belgischen Hospital transportiert worden, das sah vielmehr nach einem Verwundetenlager aus, nicht nach einem Spital. Zuerst war ein großer Saal wo nur verwundete Franzosen und Belgier lagen. Die Deutschen wurden in kleinere Zimmer geschafft, die Zimmer sahen aus wie Schulklassen, nicht wie Krankensäle.
Ich lag in einem Zimmer mit 10 Mann. Die Behandlung der Ärzte, des Personals und die Verpflegung waren miserabel. Eines will ich erwähnen: zum Frühstück gegen 9:00 erhielten wir ein kleines Keil trockenes Weißbrot und schwarzen Kaffee, zu Mittag eine nur dünne Kartoffelsuppe, weiter aber auch nichts mehr. Am Abend gegen 7:00 wieder ein Keil Weißbrot und schwarzen Kaffee. So ging es täglich. Im Gefängniß kann es nicht schlimmer sein. Die Krankenwärter kamen außer dem Mahlzeit zu anderen Zeiten nicht herein. Am schlimmsten war es zu Nachtzeit. Da konnte man rufen, läuten, schreien, keiner kam. Alle waren wir schwerverwundet, keiner konnte dem anderen helfen. So mancher hat unter sich gemacht. Es sind auch etliche Kameraden ohne Hilfe gestorben.
Eines Tages kam der Arzt, sah mein Bein an, sagte de Krankenwärter, er soll mir früh nichts zu essen geben, da mein Bein amputiert wird. So viel habe ich verstanden und dachte ich mir: ihr könnt mich suchen, ich lasse mich nicht operieren. Tatsächlich kamen auch nächsten Tag am Morgen die Sanitäter mit einer Tragbahre, die mich holen wollten nach den Operationssaal. Ich habe sie beide energisch abgewiesen. Da kam der Arzt selber, dem ich auch gesagt hatte: ich lasse mein Bein nicht amputieren. Da sagte er zu mir: er wird mein auch nicht mehr behandeln. Ich sagte zu ihm: sie brauchen auch nicht. Und so blieb es auch dabei.
Es vergingen einige Tage, da kam zu meinem großen Glück ein höherer deutscher Stabsarzt zu Besichtigung der Verwundeten. Als er unser Saal betrat, hob der Arzt sofort eine Klage gegen mich, daß ich eine Operation abgelehnt hatte. Der Stabsarzt ging auf mich zu, etwas bös mich anblickend und sagte: Sie wissen, daß sie Soldat sind und haben dem Befehle auch eines Arztes zu gehorchen. Da erwiderte ich: Herr Oberstabsarzt. In jedem deutschen Krankenhaus lasse ich mich operieren, aber hier nicht. Da frug der Stabsarzt: wieso, wieso? Ich antwortete: Herr Oberstabsarzt! Fragen sie die Kameraden hier die noch am Leben sind. Fast jeden Tag stirbt ein Kamerad nach dem anderen – ohne jegliche Hilfe. Als die Kameraden meine Aussage bejaht haben, da donnerte er dem belgischen Arzt an, daß ihm Hören und Sehen verging: wir werden nun noch mal sprechen. Der Arzt stand kreideweiß still wie eine Maus.
Wir wurden dann in eine Baracke geschafft mit dem Vormerk: transportfähig nach Deutschland. Mit einem Verwundetenzuge kamen wir am 9. September in den Nachmittagsstunden in Deutschland an. Die ersten Verwundeten wurden in Köln ausgeladen, die zweiten in Düsseldorf, die dritten, bei denen auch ich war, wurden in Duisburg ausgeladen. Dann wurden wir in verschiedene Krankenhäuser geschafft. Ich kam unter anderen in das Diakonenhaus. Das war sozusagen ein ewangelisches Spital. Als sie mich dann in die Verbandsstube gebracht haben und den Verband losgelöst hatten, war mir schwindlig geworden, alles war unter Eiter. Das Bein sah furchtbar aus. Alles Folgen der Nachlässigkeit des belgischen Arztes. Und es war schon höchste Zeit, daß ich hierher kam, denn es war schon der Anfang des Brandes. Mit einer Nadel hat der Arzt a den Fuß herumgestochen, doch ich verspurte nichts. Nachdem sie die Wunde ausgespritzt und augewaschen haben, legten sie frischen Verband an, schafften sie mich in inen schönen Saal und legten mich in ein schneeweißes Bett hinein. Ich habe der Schwester gesagt, das ich schmutzig bin und die weißen Betten zu schade sind. Da erwiderte die Schwester: Das schadet nichts, schlafen sie nur ruhig. Vorher aber brachte mir die Schwester etwas zu essen und trinken. Danach schlief ich fest ein, die erste gute Nacht seit meiner Verwundung.
Am nächstfolgenden Tage wurde ich gewaschen, bekam meine Wäsche. Dann sah sich der Sanitätsrat die Wunde an, frug mich wie es kam, da die Wunde so schlecht aussieht. Ich habe ihm dann den ganzen Verkehr aus dem belgischen Spital erzählt, über die Versorgung, über die Behandlung der Ärzte und des Pflegepersonal, daß sie mein Bein mputiren wollten, das ich das nicht zulassen wollte, da haben sie liegengelassen ohne weitere Behandlung. Da meinte dann der Sanitätsrat: Ja, ich glaube, bei jeder kleinen Verwundung wollen sie gleich amputieren. Heut sieht da Bein danach aus. Ich sagte dann: Herr Sanitätsrat, wenn es durchaus sein muß, dann lasse ich das Bein amputieren. Er meinte dann: Na, wir werden sehen, das möglichste werden wir versuchen, um das Bein zu erhalten. Dann zog er noch einige Splitter und legte einen feuchten Verband an, legte das Bein in eine Schiene. Jeden 2-ten Tag wurde der feuchte Verband erneuert solange die Wunde geeitrt hatte. Dies hatte ungefähr 3 Wochen gedauert bis dann auf einmal Blut herausprikelte. Dann fühlte ich auch jeden stich. Dann erst haben sie das Bein durchleuchtet. Jetzt haben sie festgestellt, daß ein großer Granatsplitter (4 cm lang u. 2 cm breit) im Knochen steckte. Unter Schmerz wurde der Granatsplitter herausgezogen, die Wunde sauber gemacht, d.h. es waren mehrere Wunden.
Ein neuer Verband wurde angelegt und in eine Schiene gelegt. Die Schiene war von der Ferse ab bis zum Oberschenkel lang. Unter der Ferse waren Spreukickchen gelegt, damit die Ferse nicht wund werden sollte.
Gips oder Streckverband konnten sie nicht anlegen, da die knochen getrennt waren und der Fuß nur an einer Sehne hing. Bei jedem Verbinden kippte der Fuß um. Da ich nur auf dem Rücken liegen konnte, legten sie unter mir ein Luftkissen. Jetzt wurde das Bein nicht mehr so oft verbunden, höchstens 2 oder 3 Mal in 14 Tagen. Da der Knochen schon angepressen war, wurde ab und zu eine Operation vorgenommen.
Ich hatte dann ein Bett am Fenster erhalten wo ich etwas hinaussehen konnte.
So vergingen Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat, so lag ich immer noch da. Erst nach einem Jahr legte sich an den Knochen Knorpel an. Nun war ich schon glücklich, daß ich mich dann auf die Seite legen konnte. Nach etwa 13 Monaten haben sie mir Armkrücken gebracht um Gehversuche zu machen. Anfangs ging es sehr schwer, immer schwindlich um den Kopf. Nach und nach ging es immer besser, die Schwestern waren dabei behilflich. Mit 14 Monaten konnte ich dann ohne Hilfe mit den Armkrücken laufen.
Ein Unglück kam noch dazu. Im Sommer 1915 erkrankte ich an Bauchtyfus. 14 Tage lag ich schwer darnieder. Abgemagert zum Skelett, da ich nichts einnehmen durfte. Bei dieser Krankheit sind fast sämtliche Haare heraugefallen. Die Schmerzen waren größer als die Verwundung selbst. Beim entleeren des Stuhlgangs kam nur stets unter Schmerzen etwas Blut heraus. Eines Tages vernahm ich, als der Sanitätsrat zu Schwester Kläre gesagt hatte: wenn sich das bis Morgen nicht bessert, schaffen wir Rafael nach der Isolierbaracke (Seuchenbaracke). Da packte mich ein Grausen. Unser schöner Saal lag in der Parterre. Von dort konnte ich alles übersehen, was draußen vorfiel. Da konnte ich auch sehen, wie sie täglich aus der Seuchenbaracke Tote nach der Leichenhalle geschafft haben. Ich war innerlich so eregt, daß die Fiebertemperatur noch höher stieg als wie sie sonst war. Tag und Nacht immer über 39 Grad. Den ganzen Tag habe ich dann gedacht. Habe abgewartet bis die Nachtschwester kam, ein blutjunges Ding (Novizin).
Habe sie zu mir kommen lassen. Kam zu mir und fragte nach meinem Wunsch. Ich sagte zu ihr: Schwester! Bringen sie mir was zu trinken, habe großen Durst. Zweimal hat sie es mir abgelehnt mit der Bemerkung: sie darf nicht. Beim dritten Male ging aufs laute. Ich hatte ihr gesagt: Schwester! Wenn sie jetzt nichts bringen, dann stehe ich auf und werde essen und trinken was mir in die Hände fällt. Damit habe ich sie ins Bockshorn gejagt. Sie mußte doch wissen, daß ich nicht laufen konnte. Sie hat sich´s vergessen. Erst zögerte sie eine Weile, dann hat sie sich entschlossen und brachte mir tief in der Nacht, wenn schonn alles schlief, ohne Licht einzuschalten ans Bett ein Glass voll dampfenden Tee. Sie hielt das Glas zu meinem Mund sodaß ich trinken konnte. Ich aber ergriff das Glass und goß den Inhalt in den Hals. Da wurde mir plötzlich ganz heiß, dicke Schweißtropfen traten auf die Stirn, mir wurde schwindlig und verlor die Besinnung. Nach einer langen Weile wo mich die Schwester wach rüttelte, sah ich daß die Schwester weinte. Ich sagte ihr: Schwester, es ist gut, ich verspüre keine Schmerzen, dann versank ih, nach all den schmerzvollen Tagen und schlaflosen Nächten, in einen tiefen Schlaf.
Als ich dann wieder nach gerüttelt wurde, standen die Ärzte und die Schwester um mich. Da sagte der Chefarzt zu mir: Rafael, sie haben 36 Stunden geschlafen. Dan frug er mich ob mich was weh tat. Ich sagte nein, nur ich bin müde. Da sagte der Arzt: schlafen sie weiter. Und nun schlief ich wieder ein. Abends öffnete ich dann von selbst die Augen. Die Schwester brachte mir dann was warmes zu trinken, dann kam die Nacht und ich schlief wieder ein.. Am nächstfolgenden Tag wachte ich auf schon ziemlich munter. Jetzt sagte der Arzt zu der Schwester: Rafael muß jetzt einige Tage strenge Diät halten und nur in kleinen Portionen. Damit nun bin ich der Seuchenbaracke entgangen.
Etwas selbst war ich mir aber an dieser Krankheit schuld, denn ich habe auf Obst einige Glass Bier getrunken. Der jungen Schwester habe ich hier viel zu verdanken, daß sie mir den Tee gebracht hatte. Wer weiß wie es ohne dem ausgefallen wäre. Hier muß ich erwähnen, daß trotz all mein Kummer, Leid und Schmerz alles zu ertragen war, denn die Betreuung war sehr gut, besser kann man sich gar nicht vorstellen. Die Ärzte haben sich mit jedem Verwundeten große Mühe gegeben. Nach besten Kräften haben sie alle behandelt. Die Pflege und die Versorgung war einzigartig. Alles peinlich sauber. 5 mal am Tage gab es gut und reichlich zu essen. Die Schwestern, es waren ewangelische Nonnenschwestern, die aufopfernd und mit größter Sorgfalt ihre ihnen zugedachtenVerwundeten gepflegt. Ich hatte, will mich nicht loben, besonderes Glück in Behandlung. Da ich am längsten im Bett gebunden war, war ich dort in dem schönen Kindersaal ihr Sorgenkind. Deshalb haben sie mich am besten betreut. Die Schwestern, hauptsächlich Schwester Kläre, haben alles getan, um mir die Langeweile zu vertreiben. Jeder Wunsch wurde mir erfüllt.
Auf dem Heizkörper unterm Fenster war ein Brettel angebracht, auf dem ich verschiedene Sachen hatte. Da waren Bücher, Rauchwaren, Pfeifen, Spielsachen, Schreibutensilien, also alles was ich brauchen konnte.
Hatten die Ärzte oder Schwestern atwas Zeit, dann haben sie mit mir am Bett gespielt, Halma oder Domino oder Dame. Und Besuch hatte ich hatte ich fast jeden Tag, mehr als dort die Hiesigen. Die brachten allerlei schöne Sachen, Rauchwaren, was zum knackern und guten Wein. Ich trank täglih ein volles Wasserglass. Ich hatte soviel Wein, daß meine Kameraden und auch die Schwestern davon was hatten. Einmal hatte ich Besuch von einem höheren Reserve-Offizier. Er kam zu Tür herein, blieb stehen und frug: Wer ist hier der Rafael? Da haben sie nach mir nach dem Fensterplatz gezeigt. Da kam der Offizier auf mich zu, begrüßte mich mit den Worten: guten Tag, Rafael und reichte mir die Hand. Dann gab er mir ein Päckchen mit Zigarren und Zigaretten. Sagte mir: das ist bestimmt für sie, aber wenn sie den Kameraden was schenken wollen, dann bleibt es ihnen überlassen.
Ich dankte für das Päckchen, bat ihn Platz zu nehmen im Rohrsessel, der immer neben meinem Bett stand mit den Worten: Herr Major, nehmen sie bitte Platz. Er dankte und setzte sich neben mir. Dann frug er mich über mein Befinden, über meine Dienstzeit und den Hergang der Verwundung. Der Major stammte aus Düsseldorf. Dann griff er über die Behandlung hier im Krankenhaus, frug mich: Wie pflegt meine Tochter Kläre hier die Kranken? Da antwortete ich: Wir sind alle glücklich, sie ist eine allerliebste Schwester. Sie pflegt und versorgt uns mit ihrer großen Hingabe und Aufopferung. Wir sind der Schwester Kläre alle gut.
Da strahlte sein Gesicht und er sagte: Ich danke ihnen, Rafael. Dann rief er seine Tochter zu sich heran und sagte: Kläre, ich freue mich über das was ich hier von Rafael erfahren hatte, daß du die Kameraden gut pflegst. Da wurde Schwester Kläre rot im Gesicht und schaute mich an mit einem dankbaren Blick. Dann verabschiedete sich der Major von mir, gute Besserung wünschend.
Jetzt möchte ich mal kurz beschreiben, wie mein Geburtstag 1914 dort im Krankenhaus gefeiert wurde. Zu Haus hat man nie Geburtstag gefeiert. Ein Händedruck das war auch alles.
Also es war der 24. Oktober 1914. Ich hatte gar nicht daran gedacht. Schon früh gegen 6:00 hatten Schwester Kläre u. Adele den Saal gesäubert, gebohnert, alles aufs sauberste. Dann wurde der Tisch weiß gedeckt, dann brachten sie Blechkuchen und 2 Torten. Vor der Tür wurde ein Piano aufgestellt. Gegen 8:00 wurde die Tür leise geöffnet, das Piano spielte das Lied “Harre meine Seele”, die Schwester sangen leise dafür, es waren 8 Schwestern. Das war ergreifend, ging durch Mark und Bein. Nachdem das Lied verklungen war, kamen alle Schwestern im Gänsemarsch, die Schwester-Oberin an der Spitze langsam an mein Bett heran und gratulierten mir zu meinem 23 Geburtstage. Und jede mit einem Geschenk. Nun wußte ich jetzt, das dies alles zu meinem Geburtstage gemacht wurde. Dankte jeder Schwester und mir rollten dicke Freudetränen die Backen herunter. Dann kamen noch Ärzte und Pfleger die mir auch zum Geburtstg wünschten. Ich, was sollte ich jetzt tun? Trotzdem es nicht mein Kuchen war, habe ich alle, Ärzte, Schwestern und Pfleger zum Kaffee eingeladen, die sie alle gern und freudich angenommen hatten. Nachmittag gegen 4:00 haben sich alle eingefunden, der Sanitätsrat an der Spitze. Es wurde reichlich zugesprochen zum Kaffee und Kuchen und wurde viel geplaudert. Auch jeder der Kameraden hat eine Portion Kuchen erhalten. So verlief der Nachmittag in voller Gemütlichkeit. Und so verlebte ich meinen 23 Geburtstag, hätte ich mir nie träumen lassen.
Jetzt möchte ich auch kurz wiedergeben wie ich dort im Krankenhaus den 1-ten Adventssonntag verlebt hatte. Sonnabend vor dem Sonntag abends bekam jeder Kranke im Saal einen Advetskranz, darin waren Lichter hineingesteckt, für jeden war auch ein Geschenk dabei. Abends beim Dunkelwerden wurden die Lichter angesteckt, das Harmonium stand vor der Tür und ein Lied wurde angestimmt: “Mach auf die Tür, das Tor mach weit, es kommt derr Herr der Herrlichkeit” http://ingeb.org/spiritua/machthoh.html . Sonntag früh kam der Pastor und hat uns eine Andacht abgehalten. Das war für uns ein Festtag. In der Wohnung des Pastors waren wir hin und wieder zum Kaffee eingeladen. Sein Sohn, der auch später selbst Pastor wurde, amtierte in diesem Spital als Krankenpfleger und eine Tochter Paula als Schwester.
So vergingen die Tage in diesem Spital, ein Tag schönes wie der andere. Für mich waren es schöne Tage, habe mich auch schon daran gewöhnt. Ich muß auch sagen: ich wurde sehr verwöhnt. Dafür habe ich mich auch nutzlich gezeigt so gut ich konnte, noch so ich nicht aus dem Bett aufstehen konnte. Unter anderen hatte ich die ausgewaschenen Binden gewickelt, manchmal hunderte am Tage. Einmal brachte mir die Schwester einen großen Bogen auf dem ein Modell war, das Dornröschenschloß, brachte mir noch Schere und Leim. Damit es mir nicht langweilig würde, sollte ich dieses Schlößchen einschnitzen zur Erinnerung an mein Dasein im Krankenhaus. Und tatsächlich war es auch so. Denn 1939 als wir wieder unter deutsche Besatzung kamen, da schrieb mir Schwester Paula, daß das Dornröschenschlößchen immer noch seinen Ehrenplatz einnimmt an seiner Konsole.
Wo ich dann schon mehr humpeln konnte, hatte ich mich noch nützlicher gezeigt. Beim Besteckputzen, weiter die Binden gewickelt, beim Belängen frischer Vorhänge im Saal, Fiebertafel geschrieben u.s.w.
Da bekam ich dann immer etwas einen guten Happen.
Eines Tages würde ich sehr betrübt. Denn da kam die liebe Schwester Kläre zu mir mit verweinten Augen, da sie das Krankenhaus verlassen mußte, weil sie krank war. Zeigte mir auchden Mund und die Zunge, die schwarz waren, eine Mundsäuche. Ich hätte mitheulen können, denn wir haben uns schon so zusammengelebt, besser wie meine eigene Schwester. Wie mir Schwester Paula schrieb, kam sie niemals mehr nach dem Krankenhaus zurück, hatte privat gepflegt. Das war kurz vor meiner Abzug aus Duisburg.
Mein zweiter Geburtstag 1915 wurde auch schön gefeiert, aber nicht so schön wie der erste 1914.
Oftens wurden wir Verwundete privateingeladen, d.h. wir wurden mit dem Auto oder Droschke abgeholt.
Dann auf Anraten einer Kommission hatte ich eine Vorbereitungsschule besucht für eine Aufnahme auf die Bergschule in Tarnowitz. Natürlich wurde ich auch immer mit einem Wagen abgeholt. Darauf erhielt ich dann einen Heimatsurlaub von 10 Tagen,vom 21.12. bis 31.12.1915 zwecks Aufnahme auf die Bergschule. Damit waren die schönen Tage in Duisburg für mich aber geschlossen, die ich zeitlebens nie vergessen würde. Und aus der Bergschule wurde auch nichts, da ich immer noch bettlägerig war. Da hat mich die Kommission hier schlecht unterrichtet. Bei der zweiten Aufnahmeprüfung in Mai war ich immer noch krank, war nicht fähig, meine Verwundung war zu arg. Die Kommission wollte ja das Beste für mich, konnte aber nicht voraussehen wie lange das dauern wird, das Heilen.
Nun war mein Urlaub zu Ende. Hatte alles schon fertig gepackt, daß ich am 1.1.1916 zurückfahren sollte.
Ich war aber wie Kopfgeschlagen worden, als am Vorabend gegen 10:00 ein Telegramm ankam, daß meine Überweisung ins hiesige Krankenhaus ab 1.I.16 erfolgte. Mit einem Fluch hatte ich dieses Telegramm hingeworfen. Die aus Duisburg wollten mir zu Hand gehen. Dann hat mich meine Mutter noch beruhigt. Ich wußte was mir hier blüht. Schon die ersten Tage haben gezeigt, daß hier für mich kein Bleibe ist. Weder die Schwestern noch die Ärzte noch die Verpflegung konnten mir nicht gefallen. Es gab kein Besteck, nur ein Löffel, da jeden Tag auch nur Kartoffelsuppe gab, also zum Davonlaufen. Ich dachte mir: lange wird ihr ihr mich nicht hier halten. Dann fing ich an alles zu kritisieren. Zuletzt hatte ich eine Auseinandersetzung mit Dr Hartmann gehabt. Er wollte einen kleinen Eingriff in meine Verwundung machen. Ich habe es noicht zugelassen, es kam zum scharfen Wortwechsel, darauf hat er mich dann Knall und Fall entlassen, als Garnisondienstfähiger. In 2 Tagen war ich in Berlin bei meiner Kompanie. Als ich dann am nächstfolgenden Tag in die Sanitätsstube kam, und das war für mich zum Vorteil, besah sich der Stabsarzt mit seinen Assistenten das kranke Bein mal richtig an. Dann schaute er in die Akten, wendelte sich zu mir und frug mich wer mich garnisondienstfähig gemacht hatte. Ich antwortete, ein gewisser Dr Hartmann aus Königshütte. Zu seinen Assistenten sich wendend frug er: was meint ihr zu dem Bein? Da antworteten sie: — Der Mann ist völlig D.U. (dienstunfähig).
– Das meine ich eben auch.Nach einer Weile sagte der Stabsarzt zu mir: Sie bekommen jetzt einen Monat Urlaub bis ihre Rente erledigt ist. Wo ich dann nach einem Monat in die Kompanie zurückkehrte, blieb ich noch einige Tage in der Kompanie bis ich dann am 30. Mai 1916 mit einer Rente von 45% und jährlich orthopädische Schuh (versehen war).
Damit war ein Abschnitt meines Lebens als Verwundeter und der Krankentage im Diakonenhaus Duisburg für mich abgeschlossen.